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Moin, Moin – so begrüßt man sich auf Sylt nicht nur morgens, sondern den ganzen Tag. Das habe ich unter anderem gelernt, als ich in den Letzen drei Jahren für ein neues Foto-Projekt für den Harenberg Verlag öfters auf der schönen norddeutschen Insel unterwegs war.
Sylt ist berühmt für seine wunderschönen, kilometerlangen Strände mit weißen Sanddünen. Die bequemen weißen Strandkörbe sind in großer Zahl am Strand verteilt. Die rot-weiß geringelten Leuchttürme sind weithin bekannt und beliebte Fotomotive.
Mich hat darüber hinaus aber noch eine andere Besonderheit fasziniert, die Sie nur hier in Nordfriesland finden: die typischen Friesenhäuser.
Viele dieser architektonischen Kleinode sieht man auf Sylt im idyllischen Dorf Keitum. Die ehemaligen Kapitänshäuser und Bauernhöfe stammen aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Liebevoll renoviert strahlen sie eine ursprüngliche friesische Gemütlichkeit aus. Umgeben sind die schönen Höfe von üppigen Gärten und den typischen Friesenwällen aus runden Steinen, Findlinge genannt. Mir haben die Friesenhäuser so gut gefallen, dass ich einen eigenen Kalender “Sylter Friesenhäuser” veröffentlicht habe. Auch die lebendige Geschichte und die Besonderheiten der Friesenhäuser möchte ich Ihnen hier vorstellen.
Sylt war keineswegs immer eine noble oder wohlhabende Insel. Im 17. Jahrhundert lebten in Friesland und auf den nordfriesischen Inseln Bauern und Fischer, die ein kärgliches Auskommen hatten. Die wirtschaftliche Lage verschlechterte sich besonders 1634 durch die große Sturmflut, „Groote Mandränke“ genannt. Die Flut hatte weite Gebiete Nordfrieslands für immer im Meer versinken lassen. Viele Ackerflächen waren danach verschlammt und versalzen. Von da an mussten viele Männer von den Inseln Sylt, Föhr und Amrum oft für ein halbes Jahr ihre Heimat verlassen, um auf Walfangschiffen anzuheuern, die im Eismeer auf Beute aus waren.
Ich muss zugeben, das Thema Walfang ist mir ausgesprochen unsympathisch, aber ich habe auch Verständnis für die Leute damals. Der Walfang war meistens die einzige Hoffnung auf einen anständigen Lohn.
Die tüchtigen Friesen waren gute Seeleute und stiegen schließlich in höhere Positionen auf, wie Kapitän, Steuermann oder Harpunier. Zu Wohlstand gekommen konnten sich viele Kapitäne im 17. und 18. Jahrhundert stattliche Häuser auf ihren Heimatinseln bauen. Deshalb nennt man diese schönen Friesenhäuser häufig auch „Kapitänshäuser“. Viele davon wurden im Dorf Keitum auf der Insel Sylt gebaut, dieses Dorf konnte somit als einziges einen gewissen Wohlstand erlangen. Keitum war mit den Kapitänshäusern und seinen breiten Allen aus Kastanien, Linden oder Buchen damals der Hauptort auf Sylt. Westerland gewann erst mit Einsetzen des Fremdenverkehrs in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an Bedeutung.
Was macht aber nun ein Friesenhaus so besonders? Ich finde die Häuser wirken in ihren Proportionen ausgesprochen harmonisch und ausgewogen. Die Grundform ist ein langgezogenes Rechteck, aus Backsteinen gemauert und meistens weiß gestrichen. In der Mitte ist der Eingang in einem Zwerchgiebel (Zwerchgiebel = kurzes Giebelstück im 90 Grad Winkel zum Hauptgiebel angebracht). Die Häuser haben alle ein weit überstehendes Reetdach, was heute besonders edel wirkt, damals aber die übliche Bauweise darstellte. Die Dächer sind steil, hoch und fensterlos. Die Sprossenfenster und Türen sind in blau, grün oder weiß gestrichen.
In der Architektur nennt man die Friesenhäuer „Uthlandfriesische Häuser“. Dieser Haustyp ist beschränkt auf die „Uthlande“, also die Inseln, Halligen und Marschgebiete Nordfrieslands. Reetdachhäuser gibt es auch in anderen Regionen in Deutschland und Europa, wie an der Ostsee, im Schwarzwald oder am Plattensee in Ungarn. Aber nur die Friesenhäuser haben den charakteristischen Zwerchgiebel, der diesen Häusern sozusagen ihr „Gesicht“ gibt. Ich finde es beeindruckend, wie es Baumeister in früheren Zeiten intuitiv geschafft haben, praktischen Nutzen in Schönheit umzusetzen. Der eigentliche Zweck der Zwerchgiebels dient der Sicherheit, damit bei einem Feuer das brennende Reet des Daches nicht vor die Eingangstür rutscht, sondern durch den Giebel seitlich abgelenkt wird. So bleibt der Rettungsweg durch die Tür frei.
Die Häuser sind praktisch und stabil gebaut. So sind sie oft in Ost-West-Richtung gebaut, um den aus West kommenden Stürmen eine möglichst geringe Angriffsfläche zu bieten. Das Innere der Häuser wird durch ein massives Holzgerüst getragen, das auch starken Stürmen standhält. Das Konzept hat sich bewährt, so konnten viele Häuser die Jahrhunderte überstehen.
Ein weiteres architektonisches Merkmal der Friesenhäuser ist die „Klöntür“. Diese Türform sieht man aber heute nur noch vereinzelt. Die Klöntür ist horizontal in der Mitte zweigeteilt, so dass die obere Hälfte allein geöffnet werden kann, zum Beispiel um zu lüften. Die geschlossene untere Hälfte verhinderte, dass Kleinvieh, das rund ums Haus gehalten wurde, in die Stube gelangen konnte. Durch die halb geöffnete Tür konnten die Bewohner sehr gut mit den Nachbarn plaudern. Plaudern heißt auf Friesisch „Klönen“. Daher kommt der Name dieser Türart.
Die eine Seite des Hauses war stets dem Vieh und dem Stall vorbehalten. Auch die Kapitänshäuser waren stets gleichzeitig Bauernhöfe.
In Keitum, direkt an der Wattseite, gibt es zwei interessante Museen, in denen Sie auf Zeitreise gehen und Friesenhäuser auch von Innen bewundern können. Als Fotograf fand ich hier besonders eindrucksvolle Motive.
Das “Altfriesische Haus von 1640” ist eines der ältesten Kapitänshäuser der Insel. Ihm fehlt noch der später so charakteristische zentrale Zwerchgiebel. Das Besondere ist aber die komplett originale Einrichtung. Die niedrigen Räume mit den vielen historischen Alltagsgegenständen wirken so, als wären die Bewohner nur mal gerade rausgegangen. Beim Gang durch das Haus merkt man sofort, dass hier die wohlhabende Kapitänsfamilie lebte. Aufwändig geflieste und getäfelte Wände zeugen vom Wohlstand ihrer Besitzer und machen die Räume behaglich und lebendig.
Direkt neben dem Altfriesischen Haus liegt das Sylt-Museum. Die Bedeutung des Walfangs sticht dem Besucher gleich am Eingang deutlich ins Auge, durch die zwei mächtigen Wahlknochen und das Walskelett im Garten.
Sehr viele Friesen- und Kapitänshäuser zeigen uns nicht nur die eindrucksvolle Geschichte der Insel, sondern auch ihre Lebendigkeit. Die meisten Friesenhäuser stehen in Keitum. Aber in Morsum, List, Kampen oder Braderup finden Sie weitere architektonische Schätze dieser Art. Heute sind sie alle renoviert und haben neue Bewohner gefunden, die ihre Häuser ganz offensichtlich sehr schätzen. Die historischen Friesenhäuser mit ihren großen Grundstücken sind heute oft Millionen wert und auf dem Immobilienmarkt heiß begehrt. Als Fotograf beindruckte mich besonders bei vielen Häusern die wundervolle Gartengestaltung. Die Gärten der Friesenhäuser auf Sylt quellen über vor prächtigen Blumen, blühenden Büschen und Obstbäumen. Man sieht die Liebe und Sorgfalt, die ihre neuen Besitzer hier einbringen. Für viele wäre es ein Traum in einem solchen Haus zu leben.
Moderne Friesenhäuser – geht das überhaupt? Sylt ist beliebt und die Immobilienbranche boomt. Es wird viel gebaut und was mich besonders erfeut, auf eine traditionelle Bauweise. Die typischen Architekturmerkmale eines Friesenhauses müssen erfüllt sein: Ein steiler Spitzgiebel, der zentrale Zwerchgiebel, teilweise ist sogar ein Reetdach vorgeschrieben. Einige Kompromisse sind aber schon erlaubt. So darf man in die hohen Dächer auch Fenstergauben einbauen. Diese Fenster haben die historischen Friesenhäuser so nicht. Ich finde diese modernen Friesenhäuser wirklich gelungen.
Zum harmonischen Gesamteindruck der Häuser tragen auch die schon erwähnten prächtigen Gärten bei. Umgrenzt werden sie stets durch einen sogenannten „Friesenwall“. Friesenwälle sind niedrige sorgfältig aus runden Findlingssteinen gebaute Wälle. Der Grund für die Verwendung von Findlingssteinen war ehenmals der Mangel an Holz auf der Insel. Heute ist es aber Ehrensache für jeden Sylter einen Friesenwall zu haben. Meistens sind die Friesenwälle breit und in der Mitte mit Blumen bepflanzt. Die Narzissen, Hortensien oder Rosen leuchten und verschönern oft den Gesamtbild. Die hübschen Friesentore sind ebenfalls eine Besonderheit im Norden.
Wunderschön finde ich auch die Bäume, welche die Eingangswege mancher Kapitänshäuser flankieren. Mächtige Eichen, Linden oder Kastanien – oft so alt wie die Häuser selbst.
Gefallen Ihnen die Friesenhäuser auch so gut? Dann schauen Sie sich meinen neuen Kalender „Sylter Friesenhäuser“ näher an und tauchen Sie ein in die Welt dieser wunderschönen Insel mit seinen alten Friesenhäusern.
Im Artikel verwendete Quellen und weiterführende Informationen: